Forschungsdaten für und von HistorikerInnen?

Das Wort „Forschungsdaten“ gewinnt zunehmend für WissenschaftlerInnen an Bedeutung. Gleichzeitig stehen HistorikerInnen der Frage nach eigenen Forschungsdaten immer vergleichsweise ratlos gegenüber, da die Geschichtswissenschaften natürlich keine Daten generiert, wie dies ein physikalisches Experiment am CERN mit Teilchenkollisionen hervorruft. Selbstverständlich sammeln auch HistorikerInnen viele verschiedene Daten, um ihre Thesen zu belegen. Zentral hierbei sind selbstverständlich jegliche Formen von Literatur. Zwar ist dies vordergründig nicht so spektakulär wie in anderen Wissenschaftsbereichen, aber für eine stark textbasierte Wissenschaft – wie die Geschichtswissenschaften häufig betrieben werden – ist dies durchaus naheliegend. Analysiert man – wie in meinem Fall – die zeitgenössischen Debatten der verschiedenen Akteure, so kommt rasch eine große Anzahl an Primärliteratur zusammen, die deutlich im vierstelligen Bereich liegt. Je nach Thematik und Arbeitsweise können diese Literaturangaben so umfangreich werden, dass man sie ohne ein Literaturverwaltungsprogramm kaum noch sinnvoll organisieren kann. Die gängigen drei Programme sind Zotero, Endnote und Citavi. Ich würde jeder/m HistorikerIn empfehlen sich gleich am Beginn eines Forschungsprojekts mit einem Literaturverwaltungsprogramm vertraut zu machen und dies für seine folgende Arbeit zu benutzen und regelmäßig zu pflegen. Die verschiedenen Vorteile liegen auf der Hand, jedoch muss am Anfang etwas Zeit investiert werden, die jedoch sinnvoll eingesetzt ist.

Ein Beispiel, an welchem ich kurz die Funktionsweise einer Literaturdatenbank veranschaulichen werde, ist ein vielzitierter Artikel von Philip Rosenthal, in dem er die zunehmende Bedeutung von Design für den Alltag thematisiert. In der Datenbank ist für jede bibliographische Angabe ein vorgeschriebenes Feld definiert, in welchem die spezifischen Informationen zu diesem Zeitschriftenartikel – von mir – eingetragen wurden. Exportiert man diese Daten zum Text von Rosenthal in einem maschinenlesbaren Format, wie beispielsweise XML, so bekommt man (verkürzt dargestellt) folgenden Datensatz.

<Reference_Start>
<2>Newspaper Article<2/>
<3>Philip Rosenthal<3/>
<4>1965</4>
<5>Brandrede gegen die Atomisierung des Design</5>
<6>zeitgemäße form in der Süddeutschen Zeitung</6>
<17>25.11.1965</17>
<Reference_End>

Zwischen dem Beginn und dem Ende des Datensatzes werden insgesamt 6 Angaben gemacht, durch welche der Zeitungsartikel in einer Bibliographie dargestellt werden kann. Jedes imaginäres Feld der Literaturdatenbank ist dabei durch „<> “ gekennzeichnet. Die Angaben 3-6 und 17 beziehen sich dabei auf Autor, Veröffentlichungsjahr, Artikeltitel, Zeitungsartikel und genaues Veröffentlichungsdatum. In dem Feld Nr. 2 ist beschrieben, welche Form von Literaturangabe es sich hier handelt. Anhand meiner selbstgeschriebenen Endnote-Ausgabedatei wird über diesen Referenztypen zugeordnet, welche Felder dieses Datensatzes in eine spezifische Form und Reihung gebracht werden. Schlussendlich erscheint der Rosenthal-Artikel in der folgenden Form in meiner Bibliographie:

Rosenthal, Philip (1965): Brandrede gegen die Atomisierung des Design, in: zeitgemäße form in der Süddeutschen Zeitung, vom 25.11.1965.

Hier stehen zwei Dokumente zum Download bereit, die beide ursprünglich aus den gleichen Literaturdatensätzen generiert wurde. Es handelt sich hierbei um alle Beiträge (insgesamt 170) der Sonderbeilage „zeitgemäße form der Süddeutschen Zeitung“ zwischen 1964 und 1990, die sich mit Industriedesign im weiteren Umfeld beschäftigen. Das erste Dokument ist maschinenlesbar bzw. wie im Beispiel 1 aufgebaut. Diese .odt-Datei könnte in eine Literaturdatenbank immigriert werden. Das zweite Dokument ist eine fertige Bibliographie als .odt-Datei und gibt die Zeitungsartikel wie in Beispiel 2 wieder.

Die Beilage „zeigemäße form“ als Quelle für eine bundesdeutsche Designgeschichte

Eine wichtige Quelle für die bundesdeutsche Designgeschichte zwischen den 1960er und 1980er Jahren ist die Beilage „zeitgemäße form“ der Süddeutschen Zeitung. Zwischen ca. 1963 und 1989 erschien die „zeitgemäße form“ zwar unregelmäßig, aber ungefähr jeden zweiten Monat. Geleitet wurde diese Beilage von Johann Klöcker (1908-1995). Er befand sich dabei in einer nicht beneidenswerten Lage: Der redaktionelle Raum, der ihm vom Verlag zur Verfügung gestellt wured, richtete sich naturgemäß nach dem Anzeigenaufkommen.

Dieses vermeintliche Manko führte jedoch dazu, dass die Bandbreite der behandelten Design-Themen äußerst vielfältig und zugleich tiefgründig war. Schon rein optisch hebt sich die „zeitgemäße form“ in ihrer Typographie von dem Rest der Zeitung ab. Klöcker und seine Autor_innen profitierten davon, dass Ihre Beiträge nicht im Feuilleton-Teil der Süddeutschen erschienen. Auf diese Weise konnten sie zu aktuelle Design-Debatten Stellung beziehen oder beispielsweise von der Messe in Hannover berichten.

Die jeweilige Beilage hatte meist einen inhaltlichen Schwerpunkt. Hierbei lassen sich ungefähr drei Großgruppen an Beiträgen ausmachen: 1. Fragen der Designer-Zunft, wie die „Designer-Ausbildungskrise“, Entwicklungen im Rat für Formgebung oder beim VDID, die Verleihung des Bundespreises „Gute Form“ oder ICSID-Kongresse, standen im Vordergrund. 2. Neue Konsumprodukte mit einem hohen Anspruch an Design fanden bei der „zeitgemäßen form“ regelmäßig eine Plattform. Beispielsweise wurde meist vor Weihnachten in einer Ausgabe die neuesten Konsumporzellane oder Möbelstücke besprochen. 3. Daneben wurden neue Technik oder Designkonzepte präsentiert. Diskussionen über Computer Aided Design, Design-Management oder Kunststoffe in der Produktgestaltung wurden nicht nur in der form geführt, sondern auch in der „zeitgemäßen form“.

Seit 1975 wurden die beiden Beilagen „zeitgemäße form“ und „zeitgemäße technik“ unter der Ägide von Klöcker zusammengefasst. Dies führte zu einer stärkeren Verschränkung von Design- und Technikfragen seit den 1980er Jahren. Bald danach zog sich Klöcker zurück und übergab die Leitung der „zeitgemäßen form“ an Peter Horn. Ende der 1980er Jahre wurde die Beilage aus unbekannten Gründen bedauerlicherweise eingestellt. Neben den regelmäßigen Beiträgen von Arianna Giachi in der FAZ und von Elke Trappschuh im Handelsblatt war die „zeitgemäße form“ der zentrale Ort für eine Designberichterstattung in einer bundesdeutschen Tageszeitung.