Eine gemeinsame Designdefinition – Die ICSID-Generalversammlung 1969 in London

Im Jahr 1969 trafen sich die Vertreter von 27 Ländern auf der ICSID-Generalversammlung in London. Unter dem Rahmenthema „Design, Gesellschaft und Zukunft“ diskutieren die Industriedesigner über den eigenen Beruf und dessen Zukunft. Der ICSID-Präsident Tomás Maldonado war es, der mit dem Versuch einer verbindlichen Designdefinition auf der Generalversammlung für eine erste große Kontroverse innerhalb der Produktgestalter sorgte.

Die Diskussion um eine neue Definition für Industriedesign war besonders davon geprägt, die ältere stark anglo-amerikanisch geprägte Vorstellung durch eine zeitgemäßere Formulierung zu ersetzen. Neben der Definition von Maldonado wurde ebenfalls über einen sowjetischen Vorschlag von Juri Solowjew diskutiert. Beide Ansätze versuchten dabei, die Bedeutung der Produktgestaltung für die Gesellschaft und zugleich der sozialen Verhältnisse für das Design zu erfassen.

Die von Maldonado vorgeschlagene Definition lautet übersetzt:

„Die industrielle Formgebung ist eine schöpferische Tätigkeit mit dem Ziel, die Formqualitäten von industriell hergestellten Gegenständen zu bestimmen. Diese Formqualitäten umfassen nicht nur die äußerlichen Merkmale, sondern im Grundsatz auch diejenigen baulichen und funktionellen Wechselbeziehungen, die – gesehen vom Standpunkt sowohl des Erzeugers als auch des Benutzers – aus einem System eine zusammenhängende Einheit machen. Industrielle Formgebung erstreckt sich über alle Aspekte der von der industriellen Produktion geschaffenen Umwelt des Menschen“.[1]

 

Währenddessen wählte Solowjew folgende Formulierung:

„Industrial Design ist eine schöpferische Tätigkeit mit dem Ziel der harmonischen Gestaltung einer gegenständlichen Umwelt, die die materiellen und geistigen Bedürfnisse des Menschen möglichst vollkommen befriedigt. Dieses Ziel wird angestrebt durch eine Bestimmung der formalen Eigenschaften von Industrieprodukten. Unter formalen Eigenschaften sind nicht nur äußerliche Merkmale zu verstehen, sondern jene strukturellen Beziehungen, die einem System eine funktionelle Qualität und Kohärenz verleihen und gleichzeitig zur Steigerung der Produktivität betragen“.[2]

 

Ähnlich wie bei den zeitgenössischen Debatten über die sogenannte Umweltgestaltung, folgte auf dem ICSID-Kongress 1969 die Richtungsdiskussion, inwiefern die Tätigkeit der Designer nicht mehr durch Arbeitsmethoden und -ergebnisse zu bestimmen sei. Die Gegenposition definierte Design vielmehr in einem gesellschaftlichen Gesamtsystem, in dem ebenso soziale Fragestellungen durch die Gestalter einer Antwort bedürfen. Die vorgeschlagenen Industriedesign-Definitionen wurden in London ausgiebig im Plenum besprochen. Jedoch fand sich letztendlich keine Mehrheit, sodass die unterschiedlichen nationalen Designauffassungen durch eine einheitliche Begriffsbildung nicht neu gefasst wurden.

Eine Arbeitsgruppe bearbeitete daraufhin eine Neuformulierung, sodass auf der Generalversammlung 1971 auf Ibiza erneut über das Thema gesprochen wurde. Soweit es aus den Akten ersichtlich wird, geschah dies letztlich aber nicht mehr.[3] Die Gründe hierfür sind unklar. Deutlich wird dabei aber, dass Diskussionen über eine Designdefinition kein Phänomen der Gegenwart sind.

 

[1]   Bonsiepe, Gui (1969): Störungsfrei um den heißen Brei, in: form (48), S. 4.

[2]   Ibid.

[3]   Bericht von Jürgen Hämer zum ICSID-Kongress 1969 in London, S. 1 und Unbekannt (1969): ICSID-Aktivitäten, in: form (48), S. 56.