Zäsuren in der Designgeschichte

Das Jahr 1938 ist eine Zäsur in der Designgeschichte – zumindest aus der Sicht der Kuratoren des Museums für angewandte Kunst in Wien. Der „Anschluß“ Österreichs wird in der Dauerausstellung in Wien als das Ende einer Design-Periode verstanden. Mit dem Jahr 1938 endet das österreichische Design. Losgelöst von der Frage, ob der „Anschluß“ 1938 in allen Facetten eine Zäsur war, drängt sich eine gedankliche Auseinandersetzung mit Periodisierungen in der Designgeschichte mehr oder weniger auf.

Standardwerke zur Designgeschichte, beispielsweise von Victor Margolin oder Gert Selle, orientieren sich im 20. Jahrhundert überwiegend an politischen Zäsuren in ihren Darstellungen. Sowohl in Margolins „World History of Design“ als auch in Selles „Geschichte des Design in Deutschland“ bilden die beiden Weltkrieg die Ereignisse, welche das Design des 20. Jahrhundert periodisieren. Bei Selle wird darüber hinaus das Jahr 1968 – mit dem Ende der HfG Ulm und/oder mit der 68er-Bewebung – zur Zäsur. Wie im Wiener Beispiel werden meist politische oder gesellschaftliche Veränderungen als Beginn und Ende designhistorischer Periodisierungen gewählt.

In der deutschen Forschung zur Zeitgeschichte wird seit längerem über die verschiedenen zeitlichen Einteilungen diskutiert. Der von mir favorisierte Ansatz „Nach dem Boom“ betont beispielsweise, dass die 1970er und 1980er Jahre eine Zeit weitreichender soziokultureller Transformationen waren. Nichtsdestotrotz gibt es verschiedene andere Angebote, Zäsuren im 20. Jahrhundert zu setzen, die ebenfalls ihre Berechtigungen haben. Etwas sarkastisch aber lesenswert hat dies Jürgen Kaube in seinem Essay „Auf dem Jahrmarkt der Zeitdiagnosen“ zusammengefasst. Für moderne Zeithistoriker_innen ist es üblich über verschiedene Ansätze zur Periodisierung einer „Geschichte der unmittelbaren Gegenwart“ zu diskutieren.

In der aktuellen historischen Designforschung konnte ich – bis jetzt – in dieser Richtung wenig Debattenbeiträge finden. Obwohl sich meistens die Mühe lohnte, gängige Erzählungen einmal „gegen den Strich zu bürsten“, orientiert sich die Designgeschichtesschreibung in Deutschland überwiegend an den gängigen Zahlen: 1907 (Gründung des Werkbunds), 1914/1918 (1. Weltkrieg), 1933 (NS-„Machtergreifung“), 1945 („Stunde Null“), 1968 (Ende der HfG Ulm) und 1990 (dt.-dt. Wiedervereinigung).  Alle Jahresangaben können sicherlich als Zäsuren benutzt werden. Jedoch wäre es sicherlich ebenso spannend einmal zu verfolgen, wie dieselben Akteure hinewg über diese Epochen agierten. Periodisierungsversuche jenseits von politischen oder soziokulturellen Zäsuren, zugleich aber stärker orientiert an designimmanenten Entwicklungen, beispielsweise die Gründung des ICSID 1957 oder die Einführung des Farbfernsehens 1967, wären zwar zuerst eine Herausforderung, aber auch eine Bereicherung für die designhistorische Forschung.