Industriedesign und Kunst auf der documenta in Kassel

Heute eröffnet mit der documenta XIV eine der wichtigsten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst. Auch für die Designgeschichte in der Bundesrepublik war diese Ausstellungs-Serie zwischen den 1960er und 1990er Jahren immer wieder eine hervorgehobene Bedeutung.

Die 1955 erstmals ausgerichtete documenta verstand sich während der sogenannten Wiederaufbauphase der Bundesrepublik besonders für zeitgenössische Kunst. Auf der documenta III im Jahr 1964 wurde erstmals auch ,Design‘ präsentiert. Denn parallel zu der regulären Ausstellung zeigten Arnold Bode und seine Mitorganisatoren in der Räumen der Werkkunstschule Kassel Arbeiten aus den Themenbereichen ,Graphik‘ und ,Industrial Design‘. Die Verwendung eines anglo-amerikanische Begriff für die industrielle Formgestaltung war damals in der Bundesrepublik relativ neu. Neben Werke von damals schon international bekannten Gestaltern wie Mies van der Rohe, Arne Jacobsen, Charles Eams und Gerrit Rietveld wurde ebenfalls Arbeiten aus dem bereich des technischen Industriedesigns gezeigt. Hierbei wurden Investitionsgüter, Brücken und Büromaschinen von Marcello Nizzoli, Eliot Noyes oder Klaus Flesche ausgestellt. Für den Kurator und damaligen Leiter der Neuen Sammlung München Hans Eckstein war bei dieser Präsentation besonders wichtig, dass bei der Gestaltung von Gebrauchsgegenständen eben keine ,Kunst‘ angewendet werde sondern vielmehr eine sogenannte Ingenieurskunst wirken müsse.1

Eine solche Darstellung wie von Eckstein war Mitte der 1960er Jahre für zeitgenössische Designdiskurse nicht untypisch, betonten doch beispielsweise die Dozent_innen und Studierende der HfG Ulm, dass Design eben keine Kunst sei. Als Konsequenz daraus wurde ,Design‘ in Kassel die nächsten beiden Jahrzehnte nicht mehr gezeigt. Arnold Bode versuchte zusammen mit Robert Gutmann 1972 ,Design-Expo‘ in West-Berlin zu organisieren. Grundgedanke hierfür war es parallel zu den olympischen Spielen 1972 in München und der documenta V eine international ausgerichtete Präsentation zur Produktgestaltung zeigen zu können. Nach internen Probleme bei der Organisation übernahm Herbert Lindinger im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft die weitere Planung der ,Design-Expo‘. Letztlich wurde das Projekt aber durch die sowjetische Militärverwaltung gestoppt, die eine solche internationale Ausstellung der Bundesrepublik in West-Berlin als eine Neutralitätsverletzung des Status von Berlin sah.

Bei der documenta VI im Jahr 1977 wurde dann Gerhard Bott, damals Generaldirektor der Kölner Museen, mit einer Design-Ausstellung in Kassel parallel beauftragt. Seine Präsentation „Utopisches Design“ erschien beispielsweise der Designjournalistin Elke Trappschuh jedoch schlicht verwirrend und teilweise fehlgeleitet.2 Es war daher wenig verwunderlich, dass diese Darstellung von Produktgestaltung von den zeitgenössischen Designern kaum wahrgenommen wurde.

Erst im Jahr 1987 zeigte die documenta VIII wieder Design. Beauftragter hierfür war Michael Erlhoff, der später fachlicher Leiter des Rats für Formgebung und dann Professor für Designtheorie in Köln werden sollte. Im Kontext von postmodernen Gestaltungsdebatten, die seit dem „Design-Forum Linz“ von 1980 die Profession prägte, verschwammen wieder die Grenzen zwischen ,Design‘ und ,Kunst‘. In seinen fünf Thesen zum Design betonte Erlhoff daher auch, dass „von seiten der Kunst wie von seiten des Design die Abgrenzungen zwischen beiden Bereichen ins Wanken“ geraten seien.3 Akteure wie Stefan Wewerka die bewusst an der Schnittstelle zwischen beiden Teilbereichen agierten, symbolisierten solche Perspektiven recht anschaulich.

Pavillon von Stefan Wewerka für die documenta VI, Photographie von Rüdiger Wölk, CC BY-SA 2.5

Die Anwesen- und Abwesenheit von Produktgestaltung auf der Kasseler documenta ist daher ein anschaulicher Indikator dafür, wie das Verhältnis von Design und Kunst von zeitgenössischen Akteuren zwischen den 1960er und 1990er Jahren immer wieder neu gedacht und verhandelt wurde.
1) Hans Eckstein (1964): Unsere Gegenstände – Zur Eröffnung der Design-documenta, in: form (27), S. 2.
2) Elke Trappschuh (1977): documenta 6: „Utopisches Design“, in: form (79), S. 40.
3) Michael Erlhoff (1987): 100 Tage in Kassel: Kunst und Design zur d8, in: form (118), S. 22.

Klaus Flesche: Industriedesigner bei der MAN AG

Klaus Flesche (1917-1997) wurde 1917 als Sohn des Kunsthistorikers Hermann Flesche (1886-1972) in Braunschweig geboren. Von 1938 bis 1942 studierte Klaus Flesche Architektur an der Technischen Hochschule in Braunschweig. Anschließend leitete er bei dem Bauamt für Sonderaufgaben der Luftwaffe die Abteilung für Hochbau und Planung. Hierbei übernahm er die Fertigung von unterirdischen Industrieanlagen für die Organisation Todt. Nach seiner Entlassung aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft war Flesche von 1945 bis 1948 als selbstständiger Architekt in Braunschweig gemeldet. Von 1948 bis 1950 arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent an der TH Braunschweig und promovierte dort 1949 über Kemenate – historische Steinhäuser – in Braunschweig aus dem 12. Jahrhundert.

1951 wurde Flesche im Alter von 34 Jahren leitender Architekt für Brücken- und Stahlbau bei der MAN AG in Mainz-Gustavsburg. Eine seiner ersten Aufgaben bei dem MAN-Konzern war die Karossieregestaltung eines Schnelllastwagen der 4,5t-Klasse. Hierbei setzte Flesche zwei Modellvarianten, nämlich als Haubenwagen und als Frontlenker, durch. Der MAN-Lkw 415 F wurde bis Ende der 1970er Jahre produziert, was ein erstaunlich langer Zeitraum für ein Nutzfahrzeug war.

TEE-Zug der Deutschen Bundesbahn, von Benedikt Dohme, CC BY-SA 3.0

In dem neugegründeten Verband der Deutschen Industriedesigner trat Flesche 1960 rasch nach dessen Gründung ein. Dies kann verdeutlichen, dass Flesche trotz seiner Ausbildung als Architekt sich schnell dem Themenfeld Produktgestaltung näherte.
Auf der documenta III im Jahr 1964 wurden einige Arbeiten wie Lkw-Modelle oder Krankonstruktionen gezeigt. Besonders hervorgehoben waren hierbei Gestaltungsprojekte wie der TEE-Zug, die Diesellokomotive V 320 für die Bundesbahn, eine Stahlbrücke über den Askeröfjord in Schweden oder Hafenkräne in Hamburg und Bremen.

Bis zu seiner Pensionierung 1988 war Flesche bei der MAN AG für Stahlkonstruktion, zunehmend aber auch für die Produktgestaltung von Schienen- und Straßenfahrzeugen zuständig. Hierzu wurde 1967 eigens für ihn ein „Gesamtbereich für Architektur und Design“ in Mainz-Gustavsburg gegründet. Felsche und seine Mitarbeiter waren dadurch für alle Gestaltungsfragen im MAN-Konzern zuständig. Für Flesche stand bei seinen Arbeiten die „Schönheit [..] nicht an erster Stelle, aber anständig aussehen muss jedes Produkt“.

Besonders in den 1980er Jahren war er mit dem Projekt „X90“ beschäftigt. Bei diesem Entwurf für einen zukunftsweisenden Lastkraftwagen setzte Flesche auf ein Baukastensystem für die Fahrerkabine. Dieses vergleichsweise architekturorientierte Modell eines Lkws für 40 Tonnen sollte je nach Bedarf der Kunden ausgestattet werden. Hierzu entwickelte Flesche verschiedene Bausätze für die Fahrerkabine, sodass eine Auswahl an vergleichsweisen einfachen bis zu komplexeren und komfortableren Innenräumen gewählt werden konnte. Da Flesches Entwürfe für die damalige Zeit innovativ erschienen, jedoch im Bezug auf Arbeitsschutznormen und sicherheitstechnische Aspekte kaum realisierbar waren, wurde das Projekt „X90“ nicht verwirklicht. Später wurde teilweise unterstellt, dass der Renault Virages und die Magnum-Reihe des französischen Konkurrenten Renaults Trucks auf Flesches Entwürfen aufbauen würde.

Renault Magnum, von Magdalena Golinski, CC BY 2.5

Klaus Flesche starb 1997 in der Nähe von Wiesbaden. Leider ist jedoch nichts über einen Nachlass in den historischen Archiven der MAN AG oder in einem staatlichem Archiv in Hessen bekannt.