Das BASF-Projekt „Wohnen 1980“

Seit Mitte der 1960er Jahre versuchte die BASF AG mit Design ihre eigenen Kunststoff-Rohprodukte erfolgreich zu vermarkten. Die AnwendungstechnischeAbteilung (kurz Aweta) mit ihren Verfahrensingenieuren und Gestaltern war hierbei die zentrale Konzerneinheit, durch welche Design erstmals in Ludwigshafen am Rhein in unternehmerische Prozesse der Petrochemie eingebunden wurden.

Das mit Abstand unter den Zeitgenossen bekannteste Design-Projekt der BASF AG in den 1970er Jahren waren die beiden Modellstudien „Wohnen 1980“ von Arno Votteler sowie von Herbert Hirche. In diesen Projekten wurden Design und Innenarchitektur miteinander verbunden. Eine Grundbedingung des Projekts war es, dass die Entwürfe in einer industrielle Großserienproduktion – und möglichst in Kunststoff – angefertigt werden musste. Als Bezugsjahr wurde 1980 gewählt da man sich bei Projektbeginn 1969 erhofft hatte, alle möglichen Gestaltungsentwicklungen bis zum ungefähr zehn Jahr im voraus abschätzen zu können.

Eine der beiden Gruppen leitete der Braunschweiger Designprofessor Arno Votteler. Bei der Konzeption einer Wohnung versuchte Votteler und seine Mitarbeiter bis auf einen Schlaf- und Badezimmer keine Funktionsräume zu entwerfen. Vielmehr prägten Mobilität und Variabilität das Wohnen im Jahr 1980, sodass Bereiche wie eine Küche oder die Aufenthaltszone nur nach Bedürfnis aus den Wänden gezogen werden konnten. Die andere Gruppe wurde von Herbert Hirche geführt. Hirche war Vottelers Hochschullehrer für Design in Stuttgart gewesen und ebenso wie er Mitbegründung der VDID 1959. Zwar verfolgte Hirche andere Lösungen im Detail, die Wichtigkeit von Mobilitität und Variablität sah auch sein sogenanntes hircheteam für das Jahr 1980 voraus. Dies führte dazu, dass Der Spiegel Anfang 1972 fasst dies wiefolgt zusammen: „Die Designer kamen zu dem gleichen Schluß: Gemauerte Zwischenwände müßten durch variable Trenn-Elemente ersetzt werden“.

Modell „Wohnen 80“, BASF, Freistehende Küche, Design: Arno Votteler, CC-BY-SA 3.0 DE

Besonders bei diesem Projekt zeigte sich erstmals zeitgenössische Entwicklung in einem Forschungsprojekt mit dem Bezug zum Industriedesign. Denn das Argumentieren mit „Wissen“ als auch die Bedeutung von Planung im Design bekamen in dieser Zeit erstmals eine hervorgehobene Rolle bei kommunikativen Strategien der Gestalter. Im Gegensatz zu den Visiona-Reihe der Bayer AG und ihren futuristischen Ideen versuchte man mit den Modellstudien „Wohnen 1980“ nämlich in der Tat Impulse für umsetzbare Wohnentwürfe zu schaffen.

Modell „Wohnen 80“, BASF, Arbeitsplatz „Denkerglocke“, Design: Arno Votteler, CC-BY-SA 3.0 DE

Die BASF AG beabsichtigte – ähnlich wie bei dem Panton-Chair mit dem BASF-Kunststoff Luran S – die eigenen Designentwicklungen 1972 auf der Kölner Möbelbranchen zu präsentieren. Die Werbefachleute in Ludwigshafen erhofften sich dadurch eine größere Rezeption von Zeitschriften und Zeitungen, zumal die BASF AG zusätzlich noch Werbeanzeigen zum Projekt „Wohnen 80“ schaltete. In Ludwigshafen erhoffte man sich dadurch einen erhöhten Absatz von eigenen Kunststoffprodukten bei der Möbelindustrie. Im Zusammenhang mit der ersten Ölpreiskrise von 1973/74 zerschlugen sich diese Hoffnungen jedoch rasch wieder.

Robert Gutmann: Ein deutsch-britischer Industriedesigner

Der Industriedesigner Robert Gutmann wurde am 18.04.1910 in Augsburg geboren. Er studierte Architektur und Innenarchitektur an der Kunstgewerbeschule Stuttgart und war dort Meisterschüler bei Adolf Schneck. 1935 ging Gutmann nach Berlin und wirkte bis 1937 als selbstständiger Innenarchitekt. Bis 1939 arbeitete er in dem Berliner Büro von Fritz August Breuhaus de Groot. Im Juni 1939 flüchtete Gutmann und seine jüdische Frau nach England vor den Verfolgungen in Deutschland. Gutmann arbeitete dann viele Jahre in der Planungsabteilung des Automobilunternehmens Jaguar bei Conventry. Nach dem 2. Weltkrieg schloss sich Gutmann der Design Research Unit um Misha Black in London am Royal Collage of Art sowie dem „Studio 2“ in Wien an. Er wurde später in Großbritannien wegen seiner Verdienste als Industriedesigner und Hochschullehrer zum „Fellow of the Society of Industrial Artists“ ernannt (SIA).

Gutmann führte in London und später ebenfalls in Stuttgart – in Zusammenarbeit mit Arno Votteler – ein selbstständiges Design-Büro, das auf die Inneneinrichtung von Läden, Restaurants, Büros, Ausstellungsräumen und Sitzungssälen spezialisiert war. Er kam seit 1953 immer wieder in die Bundesrepublik Deutschland und engagierte sich bei westdeutschen Designinstitutionen. Neben seiner Arbeit als Produktdesigner war er ebenfalls als Designberater für viele verschiedene Firmen in Westdeutschland, der Schweiz, Österreich und Schweden tätig. Beispielsweise entwarf er für die planmöbel GmbH.

Schreibtisch der Studie 60, Planmöbel Eggersmann, Design von Arno Votteler, 1962, Abbildung von Arno Votteler, Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Von 1968 bis 1973 war Gutmann fachlicher Leiter des Rats für Formgebung. Daneben war er von der Gründung 1969 bis Ende 1973 der fachliche Leiter des Internationalen Design-Zentrums in (West-)Berlin. Beim Rat für Formgebung hatte Gutmann u.a. dem Bundespreis „Gute Form“ 1969 eingeführt und zu dem zentralen bundesdeutschen Designpreis geführt. Parallel dazu entwarf er von 1969 bis 1971 zusammen mit Arnold Bode das Konzept einer international Design-Ausstellung, die als „Design-Expo“ 1972 parallel zu den Olympischen Spielen in West-Berlin hätte gezeigt werden sollen, von der sowjetischen Militäradministration jedoch verhindert wurde. Gleichzeitig zu solchen Aktivitäten war Gutmann Dozent am Royal College of Art in London, Gastdozent am Farbpsychologischen Institut in Salzburg und hatte einen Lehrauftrag für Gestaltungslehre an der Technischen Hochschule Wien.

Robert Gutmann war ein Industriedesigner, der nach dem 2. Weltkrieg verbindend zwischen bundesdeutschen und britischen Gestaltern agierte. Sein Bericht von 1954 „Aus dem Tagebuch eines Designers in England“ (Bauen + Wohnen [9/3], S. 135-136) ist nur ein anschauliches Beispiel hierfür. Da er sowohl in Großbritannien als auch in Westdeutschland in Fachkreisen erfolgreich vernetzt war, bildete er eine – bis jetzt von der Designhistoriographie – unterschätze ,Brücke‘ zwischen beiden Ländern. Für den Austausch von Fachdebatten war Gutmann einer der zentralen Persönlichkeiten. So orientierten sich beispielsweise die ersten VDID-Mitglieder bei der Verbandsgründung 1959 zuerst an der britischen Design-Definition, die über Gutmann zu Votteler und damit zu der Gründungsversammlung kam.

Gutmann verstarb am 22.08.1981 im Alter von 71 Jahren in London. Zu seinem Andenken wurde 1982 für einige Jahre der „Bob-Gutmann-Förderpreis für junge Designer“ an Teilnehmer der Design-Börse des Hauses Industrieform Essen vergeben.

Geographische Komponenten bei der Gründung des VDID 1959

Zwei Länder waren bei der Gründung des Verbandes der Deutschen Industrie-Designer: Baden-Württemberg und Großbritannien. Mit etwas „Wortkunst“ lässt sich daher formulieren, dass der frühe VDID von Entwicklungen in B(aden-Württemberg)&B(ritannien) geprägt war – wobei Bed&Breakfast für die tägliche Arbeit sicherlich ebenso von Bedeutung war. Der VDID wurde in zwei konstituierenden Sitzungen am 05. bzw. 17. April 1959 in Stuttgart gegründet. Diese Initiative für einen Berufsverband für alle Industriedesigner in Westdeutschland ging von einer Gruppe von Gestaltern in Baden-Württemberg aus. Es ist wenig verwunderlich, dass sich der Verband in der Landeshauptstadt am Neckar konstituierte und nicht an einem anderen Ort in der noch jungen Bundesrepublik. Denn der frühe VDID war von Personen aus dem Bindestrichland im Südwesten geprägt.

Die Mitglieder des ersten Vorstandes lebten Ende der 1950er Jahre im weiteren Umkreis von Stuttgart. In dem Vorstand wurden folgende Personen gewählt:
1. Vorsitzender: Hans Th. Baumann (Schopfheim in Baden),
Geschäftsführer: Günter Kupetz (Geislingen an der Steige),
Schriftführer: Arno Votteler (Stuttgart),
Schatzmeister: Erich Slany (Esslingen am Neckar),
ordentliches Vorstandsmitglied: Rainer Schütze (Heidelberg).1
Mindestens ebenso wichtig war die Teilfinanzierung durch das Landesgewerbeamt Baden-Württemberg. Besonders große Unterstützung im Bezug auf juristisches Fachwissen und Finanzmittel erfuhr der VDID in seiner frühen Phase durch den LGA-Präsidenten Josef Thuma und seinen späteren Nachfolger Karl Reuss.

Das zweite Land, welches prägend für die Gründung des VDID wurde, war Großbritannien. Die sieben Gründer des VDID wählten für ihren Verband nicht zufällig das Wort „Design“. Statt den damals üblicheren Begriffen wie „Formgebung“ oder „Gestaltung“ orientierten sie sich bewusst an Entwicklungen im angelsächsischen Sprachraum. Als Grundlage für die eigene Designdefinition wählte der VDID die Präzisierung von Paul Reilly (1912-1990) – langjähriger Mitarbeiter und Direktor des Council of Industrial Design in London – und nicht etwa den Alternativvorschlag eines Designverständnisses in Anlehnung an den US-Amerikaner Harold van Doren (1895-1957). Ausschlaggebend war auch, dass der weltweite Dachverband der Industriedesigner ICSID sich ebenfalls auf diese Definition von Industriedesign geeinigt hatte.

An diesem Beispiel Großbritannien wurde jüngst gezeigt, wie Designgeschichte und Digital Humanities konstruktiv zusammengebracht werden können. In ihrem Beitrag „Exploring the Disciplinary Reach and Geographic Spread of the British Design Professions 1959-2010“ zum Digital Humanities Congress von 2012 untersucht nämlich Leah Armstrong zusammen mit ihren Kolleg_innen die Entwicklung der britischen Designer seit Ende der 1950er Jahre. Mit Hilfe von computer-analytischen Werkzeugen bearbeiteten  sie Verbandsprotokolle, Mitgliederkarten und Publikationen auf und zeigen dadurch in ihrem Beitrag, wie die geographische und zeitliche Verteilung der CSD-Mitglieder war. Besonders interessant ist dabei, dass die Chartered Society of Designers als Nachfolgerin der Society of Industrial Artists and Designers (SIAD) alle Formen von Designerberufen in sich vereinte. Im Gegensatz zu den bundesdeutschen Berufsverbänden sind daher alle Gestalterprofessionen in einem britischen Dachverband vereint und nicht wie beispielsweise beim VDID, BDG oder VDMD in separaten Verbänden. Armstrong et al. zeigt zusätzlich über ein „Heat Map Visualisation“-Werkzeug, wie sich die CSD-Mitglieder zeitlich und geographisch über Großbritannien verteilten.

Heat Map zur Verteilung britischer Werbedesigner

Wenig überraschend bildet hierbei der Großraum von London das Zentrum. Würde man ein solches Projekt beispielsweise für den VDID durchführen, so wäre ein solches Zentrum – wie oben – angedeutet  in der Frühphase aller Wahrscheinlichkeit nach Stuttgart.

1) Informationen für die Mitglieder des Verbandes DID, Nr. 1. vom November 1959, S. 1.

Die „Designer-Ausbildungskrise“ der 1970er Jahre

Es heißt jede Generation müsse eine Bildungsreform durchstehen. Anfang der 1970er Jahre traf es die angehenden Designer_innen. Im Kontext einer einsetzenden Professionalisierung des Berufs „Industriedesigner“ in den 1960er Jahren, kombiniert mit der Auflösung der Werkkunstschulen sowie der Neugründung von Fachhochschulen, war das „Bildungschaos“ für die westdeutschen Gestalter perfekt. Folgerichtig wurde seit spätestens 1973 von einer „Designer-Ausbildungskrise“ gesprochen.

Die Ausbildung zum Industriedesigner erfreute sich seit den 1960er Jahren zunehmend an Beliebtheit. Die steigende Zahl an Studierenden ging jedoch nicht einher mit verbesserten oder veränderten Ausbildungsmöglichkeiten. Vielmehr versuchte jede Kunsthochschule oder Werkkunstschule ihre eigenen Curricula zu entwickeln. Meist gingen die neuen Studiengänge aus ehemaligen Metall-, Holz- oder Schmuckklassen hervor. Neue Formen einer Designvermittlung kamen dabei nicht immer heraus, vielmehr wurde versuchte die alten Ausbildungswege den neuen Gegebenheiten anzupassen.

Die Auflösung der Werkkunstschulen und die Überführung in Fachhochschulen bzw. Gesamthochschulen führte zu einer weiteren Differenzierung der Designer-Ausbildung. Die insgesamt 24 Fachhochschulen (Stand 1973) boten völlig unterschiedliche Prüfungsmodalitäten an. War bei einer Schule ein Studium ohne Abitur möglich, so war beispielsweise das Abitur – neben einer praktischen Zulassungsarbeit – bei einer anderen Fachhochschule eine Zugangsvoraussetzung. Die Studiendauer variierten von sechs bis acht Semester, ebenso die Anzahl der nötigen Praxissemester bzw. Praktika. Darüber hinaus wurden zwei Abschlüsse vergeben: der „Designer grad.“ und der „Dipl. Designer“. Im Endergebnis schwankte die Qualität der Design-Ausbildung deutlich.

Die bundesdeutsche Wirtschaft begannen seit Ende der 1960er Jahre verstärkt Industriedesigner_innen in ihre Unternehmen zu integrieren. Gleichzeitig war es für die Industrie schwierig, geeignete Gestalter zu finden. Die unklaren Ausbildungsprofile der Industriedesigner waren hierbei mehr als nur kontraproduktiv. Um diese beheben zu können, beauftragte der Rat für Formgebung die Frankfurter Journalistin Dr. Arianna Giachi (1920-2011) mit einer Studie über die gegenwärtige Ausbildungssituation der Designer. Daraus sollten Handlungsanweisungen abgeleitet werden, um die „Designer-Ausbildungskrise“ überwinden zu können.

Anschließend versuchte der VDID zusammen mit dem Rat für Formgebung und der Kultusministerkonferenz eine bundesweite Vereinheitlichung des Industriedesigner-Studiums anzustreben. Hierzu wurde zuerst vorgeschlagen, sich auf nur fünf Ausbildungsinstitutionen zu konzentrieren. Bildung in der Bundesrepublik war Ländersache, daher wurde dieser Vorschlag rasch wieder fallengelassen, weil die jeweiligen Kultusminister landeseigene Ausbildungsorte stärken, aber nie schließen wollten. Einer „Ständigen Konferenz für den Studiengang Industrial Design“ unter der Leitung von Arno Votteler gelang es im Laufe der 1970er Jahre, dass sich die Ausbildungsorte auf ein einheitlicheres Studium des Industriedesigns einigten. Trotz länderspezifischer Charakteristika konnte man seit Ende der 1970er Jahre in der Bundesrepublik Industriedesign studieren, ohne dass dabei die Studieninhalte zwischen Kiel und Freiburg völlig unterschiedlich waren.