Die Bibliothek des Rats für Formgebung für und in der Designgeschichte

img_7134Seit seiner Gründung 1951/52 war die Bibliothek für den Rat für Formgebung eine der zentralen Serviceeinrichtungen. Denn mit dem Gründungsbeschluss erhoffte sich der Bonner Bundestag eine gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit der westdeutschen Investitions- und Konsumprodukte. Gleichzeitig wurde die erste fachliche Leiterin Mia Seeger damit beauftragt, der sogenannten ,Guten Form‘ zum Durchbruch zu verhelfen und das gestalterischen Niveau in der noch jungen Bundesrepublik zu steigern. Die Bibliothek hatte hier die Aufgabe designspezifische Fachinformationen zur Verfügung zu stellen.

img_7062Der Bereich Bibliothek und Informationsservice in Darmstadt besaß für diese Aufgabe zwei wesentliche Funktionen. Ähnliche wie andere Bibliothek sollte internationale und nationale Fachliteratur aus dem Themenbereich Design systematisch gesammelt werden. Und gleichzeitig galt es diese zugänglich zu machen. Erstens geschah es in der üblichen Form, dass die Literatur als Präsenzbestand sortiert wurde und jedem Interessierten die Bibliothek offen stand. Besonders Studierende der nahen Werkkunstschule bzw. Fachhochschule Darmstadt nutzen dieses Angebot auf der Mathildenhöhe. Obwohl sich die Verantwortlichen beim Rat für Formgebung auch mehr Besucher aus der Industrie und anderen Designinstitutionen erhofften, kamen beispielsweise der überwiegende Anteil der ca. 600 Besucher 1975 von lokalen Bildungseinrichtungen.

© Rat für Formgebung/German Design Council

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Die zweite für eine Bibliothek weniger gängige Art der Informationszugänglichkeit waren die sogenannten Literaturhinweise bzw. die Design Bibliography. Die Mitarbeiter fertigten seit 1961 DIN-A-6 Karteikarten zu jeder Publikation an, welche vierteljährlich an Abonnenten – Privatpersonen aber auch Design-Institutionen – verschickt wurden. Als zusätzliches Hilfsmittel wurden die Karten mit Dezimalklassifikationen versehen und Indexlisten erleichterten dabei eine spätere Suche. Von 1966 bis 1975 bot der Rat für Formgebung seine Literaturhinweise als englischsprachige ,Design Bibliography‘ an.

© Rat für Formgebung/German Design Council

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Im Auftrag des Industriedesigner-Dachverbands war das sogenannte IIC (ICSID Information Center) für die Erstellung dieser internationalen Literaturkartei für ungefähr 1.000 Bezieher zuständig. Daneben unterhielt der Rat für Formgebung auch lange Zeit ein eigenes Dia- und Bildarchiv, welches besonders aus Produktphotographien bestand. Eine Designer-Kartei, in welcher sich alle Industriedesigner freiwillig eintragen konnte, sollte bei der Vermittlung von Aufträgen zwischen Designern und Industrie behilflich sein. Im Gegensatz zu den Literaturhinweisen wurde das eigene Bildarchiv und die Designer-Kartei vermutlich aufgrund von Personalknappheit seit Anfang der 1980er Jahre kaum noch gepflegt. Alle drei Serviceeinrichtungen bieten jedoch für eine bundesdeutsche Designgeschichte eine kaum zu überschätzende Quellenbasis. Zumal heute die Stiftung Deutsche Design-Museum den großen Verdienst hat, diese kostbaren Bestände systematisch und wissenschaftlich aufzuarbeiten. Für zukünftige designhistorische Forschung bietet daher diese Sammlung viele neue Zugänge und Funde.

© Rat für Formgebung/German Design Council

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Die Sammlungstätigkeit im Bereich der gedruckten Literatur zeichnete sich auch dadurch aus, dass die Bibliothek des Rats für Formgebung im Kalten Krieg auch über die sogenannten Systemgrenzen hinweg Literatur bezogen. Zeitschriften wie das sowjetische Zentralorgan „Техническая Эстетика“ des Allunions Instituts für technische Ästhetik in Moskau oder die Zeitschrift „form + zweck“ des Ostdeutschen Amts für industrielle Formgebung wurden lückenlos in Darmstadt gesammelt. Daneben wurden etliche weitere Monographien, Kataloge oder Magazine aus Polen, Ungarn oder der damaligen Tschechoslowakei in die Bibliothek übernommen. Westliche Literatur aus Frankreich, Großbritannien, Italien oder den USA wurden ebenfalls vom Rat für Formgebung in die Bibliothek integriert. Ebenso bemühte sich der Vorstand des Rats bei der Geschwister-Scholl-Stiftung um die Übernahme der ehemaligen HfG Ulm-Bibliothek nach Darmstadt. Der Ulmer Oberbürgermeister entschied sich jedoch diese Bibliothek leihweise der Universität Ulm zur Verfügung zu stellen.1 Durch den sukzessiven Ankauf von Fachliteratur wuchs die Bibliothek des Rats für Formgebung im Laufe der Jahrzehnte zu der führenden Designbibliothek in der Bundesrepublik. So standen den Besuchern beispielsweise im Jahr 1987 ca. 4.500 Bücher, 140 Zeitschriften mit ungefähr 1.500 Jahrgängen und über 10.000 Literaturhinweise zur Verfügung.2

© Rat für Formgebung/German Design Council

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Nicht ganz ohne Selbstlob titelte daher die eigene Zeitschrift ,design report‘ schon Ende 1972, dass die Bibliothek des Rats für Formgebung als ein der „bestorganisiertesten Design-Bibliotheken der Welt“ galt und auf Empfehlung der UNESCO in die internationale Statistik für Fachbüchereien aufgenommen wurde.3 Und bis heute ist diese Bibliothek einer der zentralen Orte für die Recherche bezüglich der bundesdeutschen Designgeschichte. Mit der langjährigen Leiterin Helge Aszmoneit befindet sich die Bibliothek seit 1987 in äußerst kompetenten und zuvorkommenden Händen. Die dortige Hilfsbereitschaft und Arbeitsmöglichkeiten lassen diese Literatursammlung bei dem Frankfurter Messeturm zu einem kleinen designhistorischen Forschungszentrum werden. Sämtliche bibliographischen Angaben und Signaturen können über den Frankfurter Bibliotheksverbund online vorrecherchieren werden. Und da die U-Bahnanbindung zum Hauptbahnhof mit knappen 5 Minuten äußerst kurz ist, sind auch Anreisen außerhalb des Rhein-Main-Gebiets jederzeit ohne Probleme möglich. Bei Bedarf können die örtlichen Kopierangebote benutzt werden, schlichte Notizphotographien sind ebenfalls möglich. Ebenfalls für Forscher_innen nicht unerheblich ist die Verpflegungsmöglichkeiten vor Ort. Ein großes Einkaufszentrum, keine 5 Minuten zu Fuß entfernt, bietet eine breite kulinarische Auswahl, sodass auch diesbezüglich keine Wünsche offen bleiben.

© Rat für Formgebung/German Design Council

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Für jede_n Designhistoriker_in mit dem Forschungsschwerpunkt auf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist daher ein Besuch in der Bibliothek des Rats für Formgebung eine große Bereicherung.

1) Protokoll zur Vorstandssitzung des Rats für Formgebung vom 12.7.1973, S. 6f.
2) Aszmoneit, Helge (1987): Die Design-Bibliothek im Rat für Formgebung, in: design report (1), S. 19.
3) Unbekannt (1972): Eine der besten Design-Bibliotheken der Welt, in: design report, vom 08.12.1972.

 

Vielen herzlichen Dank an den Rat für Formgebung und besonders Helge Aszmoneit für die Unterstützung und für die  Abbildungen.

Design History on the DRS2016 – A Design Summer in Brighton

This year in summer the British Design Research Society celebrated its 50th anniversary with a big conference in Brighton. About 600 designer and researcher from Great Britain, Europe, and the world came together at the DRS2016 in the lovely seaside city, one hour south of London. The main theme of the conference was „Future-Focused Thinking“, which related to the popular designer self-understanding, designing the future and especially being the right profession for that task.

Brighton Pier and the sea

The conference was well organized and soon fully booked, although the registration fees with more about 400£ for three days were anything but cheap. Nevertheless I was really appreciated about the use of digital infrastructure at the whole event. The conference program was mainly organized via an online tool – what is not a real innovation nowadays. Anyhow this was combined with all the papers, the referents handed in before. In a pdf file and with a CC-BY license – I find that really refreshing – it was possible for me to prepare myself in advanced (all papers are online). In this way it was easier for me to listen the specific details more precisely than just trying to understand it, because your read the paper already before. Unfortunately the time at all sessions was planed very short, so there hadn’t been enough time for questions to the presenters. And further I still have a question about the digital persistence, because I am worried about the long-term storage of these research data.

What I also really appreciated was the decision not to give a keynote lecture. Instead there was on every day a podium discussion as a „starter“ with four experts from different fields about burning issues in design. The audience was able to ask questions via the Twitter hashtag #drsdebates. At the whole conference the hashtag #drs2016 was the digital code to share information to everybody. By using Twitter in this manner, all papers published online and an additional online exhibition about the history of the Design Research Society, it was also possible for people who weren’t in Brighton, to follow the conference from far away. Sharing the information in this way worked excellent and I would wish to see such an active use of digital tools also more on German conferences – may be at the Historikertag 2016 in Hamburg.

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From the greatest interest for me was one session on design history, that lasted the whole first day in the Old Courthouse. These panels from the 29th June was called „History, Theory, Practice – Histories for Future-Focused Thinking“ were led by Maya Oppenheimer (Royal Collage of Art, London) and Harriet Atkinson (University of Brighton). This was organized in cooperation with the British Design History Society chaired by Jeremy Aynsley (University of Brighton). The main aim was to reflect what happened since the famous Design Method conference from 1962.

After the lunch break Tania Messell opened the next section with her paper about „International Norms and Local Design Research“ at the ICSID and its engagement in Latin America in the 1970s. Messell, a PhD candidate at the University of Brighton, supervise by the professor for design history Jeremy Aynsley. She gave convincing ideas about how design was used as a development topic between the so called first and third world. By looking at this, it became clear how western focused the ICSID was as structured. Messell’s PhD thesis will close a big „research gap“ in design history and help to understand the globalized network of the industrial designers since the late 1950s. I am really looking forward to her book.

After that Sylvia (Technical University Berlin) and Christian Wölfel (Technical University Dresden) presented some of the results (see Wölfels paper), which they published 2014 within their book about Martin Kelm and the „good“ GDR design. This publication was – part time for reasons – criticized by German design historians (i.e by the design historian Siegfried Gronert or the eyewitness Günter Höhne). But nevertheless it was commendable the save Kelms story of his work as a design manager in the totalitarian system of the GDR. And it was also a enriching step further by the Wölfels to bring up questions about the GDR on the“radar“ of the no-German speaking design historians.

The third presentation in the section gave Ingrid Halland Rashidi from the University of Oslo – so she’ll be one of my colleges when I am as a visiting PhD fellow in Norway’s capital in fall this year. In her paper she followed the path of her PhD thesis by presenting thoughts and a re-reading of the exhibition „New Domestic Landscape“ about Italian design at the MoMa 1971 (see Ingrids paper). Her main question was if a work would always operate within the framework of human intention. By asking this she questioned the agency beyond human intention in an museological context, and the audience was very pleased about this.

The section was completed by the paper from designer Isabel Prochner (Université de Montreal) on current question about feminist work in industrial design (see Prochners paper). Her point was that in the 1980s and 1990s there was much more feminist critique than it is today. So Prochner claimed for a rebuild of feminist work in industrial design. Her paper was widely discussed in the follow conversation between presenters and the audience.

After the tea break the session on design history was re-opened by Kees Dorst (University of technology Sydney and Eindhoven University of Technology) (see Dorsts paper). He asked in a quite refreshing manner, if design practice and research would finally find together. Dorst emphasized in his presentation, that the ambition to create a „science of design“ in the past can be criticized for being too disconnected from design practice. With that he claimed for a new way of thinking „academic design“. This last session on design history was finalized by the papers from Tao Huang (Southern Illinois University at Carbondale, USA) with an advertisement on contemporary Chinese design, Adam de Eyto’s (University of Limerick) short history of Irish design and Joyce Yee’s (Northumbria University) appraisal of the current situation of the so called design research.

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So when I resume, even if „only“ one whole day was focused on design history, there weren’t that many papers on this special part of the history. This is not surprising, because the Design Research Society has its major focus on current design questions and not on the past – like the Design History Society. Looking at this I had the whole conference the impression, that the way of arguing, presenting a thesis and coming to new topics set apart from the historians on the one side and the designer on the other side. But even thou this was one of the great strength of the DRS2016 to bring these both groups together. Because the possibility to listen to papers that were not from the own research field, can be enriching and build new bridges.

Die Beilage „zeigemäße form“ als Quelle für eine bundesdeutsche Designgeschichte

Eine wichtige Quelle für die bundesdeutsche Designgeschichte zwischen den 1960er und 1980er Jahren ist die Beilage „zeitgemäße form“ der Süddeutschen Zeitung. Zwischen ca. 1963 und 1989 erschien die „zeitgemäße form“ zwar unregelmäßig, aber ungefähr jeden zweiten Monat. Geleitet wurde diese Beilage von Johann Klöcker (1908-1995). Er befand sich dabei in einer nicht beneidenswerten Lage: Der redaktionelle Raum, der ihm vom Verlag zur Verfügung gestellt wured, richtete sich naturgemäß nach dem Anzeigenaufkommen.

Dieses vermeintliche Manko führte jedoch dazu, dass die Bandbreite der behandelten Design-Themen äußerst vielfältig und zugleich tiefgründig war. Schon rein optisch hebt sich die „zeitgemäße form“ in ihrer Typographie von dem Rest der Zeitung ab. Klöcker und seine Autor_innen profitierten davon, dass Ihre Beiträge nicht im Feuilleton-Teil der Süddeutschen erschienen. Auf diese Weise konnten sie zu aktuelle Design-Debatten Stellung beziehen oder beispielsweise von der Messe in Hannover berichten.

Die jeweilige Beilage hatte meist einen inhaltlichen Schwerpunkt. Hierbei lassen sich ungefähr drei Großgruppen an Beiträgen ausmachen: 1. Fragen der Designer-Zunft, wie die „Designer-Ausbildungskrise“, Entwicklungen im Rat für Formgebung oder beim VDID, die Verleihung des Bundespreises „Gute Form“ oder ICSID-Kongresse, standen im Vordergrund. 2. Neue Konsumprodukte mit einem hohen Anspruch an Design fanden bei der „zeitgemäßen form“ regelmäßig eine Plattform. Beispielsweise wurde meist vor Weihnachten in einer Ausgabe die neuesten Konsumporzellane oder Möbelstücke besprochen. 3. Daneben wurden neue Technik oder Designkonzepte präsentiert. Diskussionen über Computer Aided Design, Design-Management oder Kunststoffe in der Produktgestaltung wurden nicht nur in der form geführt, sondern auch in der „zeitgemäßen form“.

Seit 1975 wurden die beiden Beilagen „zeitgemäße form“ und „zeitgemäße technik“ unter der Ägide von Klöcker zusammengefasst. Dies führte zu einer stärkeren Verschränkung von Design- und Technikfragen seit den 1980er Jahren. Bald danach zog sich Klöcker zurück und übergab die Leitung der „zeitgemäßen form“ an Peter Horn. Ende der 1980er Jahre wurde die Beilage aus unbekannten Gründen bedauerlicherweise eingestellt. Neben den regelmäßigen Beiträgen von Arianna Giachi in der FAZ und von Elke Trappschuh im Handelsblatt war die „zeitgemäße form“ der zentrale Ort für eine Designberichterstattung in einer bundesdeutschen Tageszeitung.

Der Werkbund nach 1968

Sonderbriefmarke “100 Jahre Deutscher Werkbund” mit einem Plakat zur Werkbundausstellung »Die Form« 1924 von Richard Herre*. Diese Briefmarke wurde von der Deutschen Post AG im Auftrage des BMF verausgabt. Somit ist sie nach § 5 Abs. 1 UrhG ein amtliches Werk und damit gemeinfrei.

Der Deutsche Werkbund ist, neben dem Bauhaus und der Hochschule für Gestaltung, eine der prägendsten Institutionen in der deutschen Designgeschichte des 20. Jahrhunderts gewesen. Nach der NS-Diktatur wurden die Landeswerkbünde in den westlichen drei Besatzungszonen wieder gegründet. Bis in die 1960er war der Deutsche Werkbund an vielen Diskussionen im Design, sowohl im Konsum- als auch im Investitionsgüterbereich, während der Wiederaufbauphase in der Bundesrepublik beteiligt.

Die designhistorische Forschung zum Werkbund verteilt sich ungleichmäßig über das 20. Jahrhundert. Die Gründungsphase im Kaiserreich, das Handeln der Werkbündler in der Weimarer Republik und der Anteil am Wiederaufbau sind noch gut erforscht. Die Zeit des Werkbunds bis 1968 fehlt in keinem Überblickswerk, das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts erscheint im Vergleich dazu vielmehr als ein terra incognita. Die Vermutung, dass die unmittelbare Vergangenheit seltener Thema der historischen Forschung wird, greift meiner Meinung hier zu kurz. Vielmehr erscheint mir plausibel, dass diese „Lücke“ auf ein Quellenproblem zurückzuführen ist.

Das Quellenproblem zum Deutschen Werkbund entsteht vermutlich durch den Umzug der Geschäftsstelle. Im Frühjahr 1972 zog das Generalsekretariat des Deutschen Werkbunds von West-Berlin nach Darmstadt – wo damals auch der Rat für Formgebung und heute noch das Institut für Neue Technische Form waren. Die Archivalien zur Geschichte des Werkbunds vor 1972 verblieben in Berlin und sind auch noch heute im Werkbund-Archiv zugänglich. Im November 1986 erfolgte ein weiterer Umzug – ähnlich wie der Rat für Formgebung – nach Frankfurt am Main. Aus der „Darmstädter Zeit“ sind vergleichsweise wenige Unterlagen, Protokolle, Korrespondenzen und Rundschreiben überliefert. Eine historische Analyse auf Grund dieser Quellenlage ist aufwendig und schwierig. Ob eine Parallelüberlieferung existiert, ist nicht klar.

Mit etwas Glück könnte dabei die Struktur des Deutschen Werkbundes helfen. Einer der ersten Landeswerkbünde gründete sich 1947 in Bayern und dieser ist formal als Deutscher Werkbund Bayern e.V. unabhängig. In der Münchner Seidlvilla haben viele Unterlagen die Jahrzehnte seit 1947 „auf dem Dachboden“ überstanden. Viele dieser Akten wurden an das Archiv des Instituts für Zeitgeschichte abgegeben und werden dort nun erschlossen. Wann dieser Bestand zugänglich sein wird, ist jedoch noch nicht klar. Ob sich eine Parallelüberlieferung zum Deutschen Werkbund in München finden lässt, kann frühestens im Sommer 2016 geklärt werden.

Das Allunions-Forschungsinstitut für technische Ästhetik der UdSSR

1962 wurde das Allunions-Forschungsinstitut für technische Ästhetik kurz VNIITE (Всероссийский научно-исследовательский институт технической эстетики kurz ВНИИТЭ) in Moskau gegründet. Unter der Direktion von Juri Solowjew (1920-2013) war das VNIITE für die Gestaltung technischer Produkte in der UdSSR zuständig. Am VNIITE sollten sowohl eigene Designprodukte geschaffen werden, als auch eine technische Ästhetik weiterentwickelt werden. Zugleich vertrat das VNIITE die Sowjetunion im weltweiten Designerdachverband ICISD.

Das VNIITE war ein sogenanntes „Erste Klasse-Institute“, was bedeutete, dass das Institut mit einigen Privilegien ausgestattet war. Beispielsweise war die Bezahlung der VNIITE-Mitarbeiter_innen vergleichsweise hoch. Die Bibliothek des VNIITE konnte ohne Einschränkung Fachliteratur – auch aus dem nicht-sozialistischen Ausland – kaufen. Im Laufe der Zeit war der Bücherbestand so hoch, dass die Informationsabteilung des VNIITE eine Zweigstelle für Design der staatlichen Bibliothek der UdSSR wurde. Parallel dazu war das VNIITE ebenso verantwortlich für die Organisation und Konzeption von Design-Ausstellungen. Die erarbeiteten Ausstellungen wurden nicht nur in der Sowjetunion gezeigt, sondern wanderten ebenso durch Westeuropa. Beispielsweise zeigte 1976 das Design-Center Stuttgart mit „Der sowjetische Designer“ zum ersten Mal eine Ausstellung aus der UdSSR in der Bundesrepublik.

Neben der Bereitstellung und Verbreitung von Designinformationen besaß das VNIITE auch Abteilungen, welche sich mit der konkreten Gestaltungsaufgaben beschäftigten: 1. Technische Güter, 2. Alltagsgegenstände, 3. Verkehrsmittel und später 4. Ergonomie. Gleichzeitig gab es am VNIITE eine Theorieabteilung, in welcher Kunsthistoriker, Historiker, Architekturhistoriker und Methodologen arbeiteten. Hier sollten Grundlagen für ein wissenschaftlich-technisches Vorgehen im Designprozess gelegt werden. Neben sowjetischen Theoretiker bezog man sich ebenso auf ausländische Denker wie John Ruskin, Heinrich Wölfflin, William Morris oder Gottfried Semper.

Neben der Zentrale in Moskau unterhielt das VNIITE noch mehrere Außenstellen in den verschiedenen Teilrepubliken: Baku, Charkow, Jerewan, Kiew, Leningrad, Minsk, Riga, Swerdlowsk, Tallinn, Tbilisi und Vilnius. Diese Dependancen bearbeiteten meist Gestaltungsaufgaben für regionale Industriezweige und waren daher meist auf Sparten der Konsum- und Investitionsgüterbranche spezialisiert, wie die Automobil- oder Schienenverkehr. Eines der erfolgreichsten Produkte war die Straßenbahn KTM-5, die durch das VNIITE gestaltet worden war. Ein weiteres bekanntes Ergebnis war beispielsweise eine Konzeptstudie für ein Taxi von 1964, dass nach neuesten Erkenntnissen der Ergonomie gestaltet worden war, siehe hierzu den Werbefilm:

http://www.youtube.com/watch?v=m3uwmIW9PJs

International besonders in Erscheinung getreten war das VNIITE als Organisator des ICSID-Kongresses von 1975. Zu dem Tagungsthema „Design für den Menschen und die Gesellschaft“ versammelten sich über 1.000 internationale Designer_innen aus Ost und West im Moskauer Hotel „Rossija“ und besprachen 5 Themenkomplexe: „Design und Staat“, „Design und Wissenschaft“, „Design und Arbeit“, „Design für Kinder“ und „Design und Freizeit“. Aus deutscher Perspektive war besonders spannend die Tagungssektion „Design und Staatspolitik“, auf der Juri Solowjew (VNIITE Moskau), François Burkhardt (damals IDZ West-Berlin), Tomás Maldonado (Università di Bologna) und Martin Kelm (damals AIF Ost-Berlin) ihre Argumente austauschten. Zwar stand der ICSID-Kongress 1975 unter dem Zeichen einer Entspannung im Kalten Krieg, ohne einen diplomatischen Skandal lief jedoch auch diese Veranstaltung nicht ab. Die UdSSR verweigerte den ICSID-Delegationen aus Israel, Südafrika, Taiwan und Südkorea die einreise. Daher musste die IX. Generalversammlung des ICSID im Herbst 1975 in Brüssel nachgeholt werden. Aber laut Bericht der DDR-Delegation konnten „provokatorische Ansichten seitens westlicher Vertreter nicht festgestellt werden“.